Das St.-Ursula-Gymnasium Attendorn und die Initiative "Jüdisch in Attendorn"
hatten am Donnerstag, 14.11.2019, zu einer musikalischen Lesung mit Judith Stapf eingeladen. Es wurde ein denkwürdiger Abend.
In der Pressemitteilung des St.-Ursula-Gymnasiums heißt es:
Jedem der rund 200 Besucher der musikalischen Lesung, welche die AG Erinnerungskultur des St.-Ursula-Gymnasiums am vergangenen Donnerstag zum Gedenken an die Pogromnacht veranstaltete, wird sie sicher lange in Erinnerung bleiben. Zutiefst bewegend ist die Geschichte der jungen Geigerin Judith Stapf (22) und Jerzy Gross’ (1928 - 2014), des letzten Holocaust-Überlebenden von der berühmten Liste des Industriellen Oskar Schindler. Zusammengebracht hat die beiden scheinbar so ungleichen Personen, die jedoch die Liebe zur Musik und das Violinenspiel miteinander teilten, die Journalistin Angela Krumpen im Jahr 2008.
Über ihre Begegnung hat sie das Buch „Spiel mir das Lied vom Leben“ geschrieben und einen Dokumentarfilm gedreht. Zu Beginn des Abends spielte Judith Stapf das Musikstück aus dem Film „Schindlers Liste“, das in der damals Elfjährigen den Wunsch auslöste, einen Holocaust-Überlebenden kennen zu lernen. Erst dann, so Stapf, könne sie die Musik verstehen und richtig spielen. Angela Krumpen erzählte die Geschichte weiter und zog die Zuhörer mit ihrem Vortrag, mal frei, mal aus dem Buch rezitiert, sofort in ihren Bann.
Sie erzählte von dem Lagerkommandanten Franz Müller, der Gross das Leben gerettet und ihn auch später geschützt hat, indem er ihn zum persönlichen Hundepfleger machte. Sie erzählte von den schrecklichen Bedingungen in den zwei Ghettos, in denen Gross gelebt hat, bevor er in das erste von insgesamt drei noch schlimmeren Konzentrationslagern deportiert wurde. Wo immer es angebracht war, lies sie durch Filmausschnitte Gross selber zu Wort kommen. So waren die Zuhörer dabei, als das junge Mädchen und der alte Mann sich gemeinsam auf Spurensuche in Polen begaben und die Orte des Schreckens aufsuchten.
Sie erlebten ihre Sprachlosigkeit darüber, dass sich an der Stelle des KZ Plaszow heute eine Parklandschaft befindet, die in keiner Weise an die dort begangenen Verbrechen erinnert. Bis sie die Villa des NS-Sadisten Amon Göth entdeckten, die in Gross die schlimmsten Erinnerungen weckte.
Illustriert wurden diese durch die erschreckenden Zeichnungen einer Holocaust-Überlebenden, die damals im gleichen Alter wie Gross war. Musikalische Beiträge ergänzten die Lesung und unterstrichen durch ihre Auswahl und Platzierung das Gehörte.
Das Vokalpraktikum der Jgst. Q1 und Q2 unter Leitung von Christoph Schulte trug das Lied „Donaj, donaj“ vor, das von der Deportation der Juden berichtet. Besonders emotional war das Solo „A yiddische Mama“ von Amelie Grote nach der Erzählung Krumpens vom Abtransport 700 jüdischer Kinder, deren Eltern bei einem verzweifelten Rettungsversuch erschossen oder von den Transporten überrollt wurden. Dieses Lied war zugleich über die Lautsprecher im Lager zu hören.
Abschließend spielte Judith Stapf die Meditation aus Thais von Jules Massenet, mit der sie Jerzy Gross schon zum 80. Geburtstag gratuliert hatte. Ergriffenes Schweigen begleitete die gesamte Veranstaltung, und auch nachdem der letzte Ton verklungen war, wagte zunächst niemand zu applaudieren.
Nach einer Fragerunde waren die Zuhörer eingeladen, gemeinsam mit dem Vokalpraktikum das Lied „Jerusalem aus Gold“ zu singen. Damit schloss sich der Kreis. Denn am Ende des Films „Schindlers Liste“ summen die Überlebenden diese Melodie, als sie das Grab ihres Retters besuchen.
Eine Besucherin fasste den Abend mit den Worten zusammen: „Manche sagen, man solle endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Aber ich meine, es ist lange noch nicht genug darüber geredet worden.“