Lehrvertrag und Arbeitszeugnisse des Attendorners Josef teipel
Ein Lehrvertrag und Arbeitszeugnisse der Kaufhäuser Lenneberg und Scholl - diese wichtigen Zeitdokumente des gebürtigen Attendorners Josef Teipel aus den Jahren 1926 und 1938/1939 wurden "Jüdisch in Attendorn" vor einigen Wochen zur Verfügung gestellt.
Die Dokumente stammen aus dem Nachlass von Josef Teipel, der im Jahr 2005 verstorben ist. Zu verdanken haben wir diese Dokumente dessen Tochter Ute Scherer aus Neuss.
Am 6. April 1926 begann Josef Teipel seine Ausbildung als "Handlungslehrling" im "Manufacturen-Geschäft" Raphael Lenneberg, die er drei Jahre später erfolgreich abschließen sollte.
Wie zahlreiche seiner Kolleginnen und Kollegen war Josef Teipel als Nicht-Jude im "jüdischen" Kaufhaus Lenneberg, seinerzeit dem größten Kaufhaus in der Region, beschäftigt.
Mit freundlicher Genehmigung von Frau Scherer dürfen wir den "Kaufmännischen Lehrvertrag" ihres Vaters aus dem Jahr 1926 veröffentlichen:
"...sowie an Sonn- und Feiertagen seiner Konfession zum Besuche des Gottesdienstes anzuhalten.""
Was uns aufgefallen ist:
Schon im § 2 heißt es:
"Die Firma R. Lenneberg verpflichtet sich, den Lehrling auszubilden, ihn zum regelmäßigen Besuche der Fortbildungsschule sowie an Sonn- und Feiertagen seiner Konfession zum Besuche des Gottesdienstes anzuhalten."
Für den Geschäftsinhaber des Kaufhauses Lenneberg, Hermann Stern, spielte die Konfession seines Lehrlings also keine Rolle. Ganz im Gegenteil: Hermann Stern achtete sogar darauf, dass der junge Christ Josef Teipel den Gottesdienst zu besuchen hatte.
In § 3 heißt es weiter:
"Das Schulgeld für den Besuch der kaufmännischen Fortbildungsschule trägt der Lehrherr."
Auch dieses Entgegenkommen war bei vielen anderen Unternehmen in den 1920er-Jahren alles andere als üblich. In ihrer Nachricht schreibt Ute Scherer: "Mein Großvater (ebenfalls namens Josef Teipel, d. Red.) hätte dieses Schulgeld nicht zahlen können."
Kaufhausgründer Raphael Lenneberg
Von Interesse ist auch die Unterschrift des Lehrherren. Obwohl dieser Hermann Stern hieß, unterschrieb er sämtliche Korrespondenz das Kaufhaus betreffend mit "R. Lenneberg". In Erinnerung an den Firmengründer Raphael Lenneberg. Zusätzlich unterschrieb den Vertrag auch Emil Stern als Prokurist.
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Hinweis
Rechtsanwalt Martin Kuschel:
"Meines Erachtens geht es dabei nicht um eine besondere "Erinnerung" an R. Lenneberg, sondern um eine ganz normale Rechtsfrage: Seit 1900 lautet § 17 Handelsgesetzbuch (HGB) bis heute unverändert:
(1) Die Firma eines Kaufmanns ist der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt.
(2) Ein Kaufmann kann unter seiner Firma klagen und verklagt werden.
Die Firma des von Stern geführten Unternehmens lautete "Raphael Lenneberg" , so dass Hermann Stern seine geschäftliche Korrespondenz, wie jeder andere Kaufmann auch, mit R. Lenneberg zeichnen musste."
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Der im Jahr 1804 in Lenhausen geborene Jude Raphael Heimon, der später den Namen Lenneberg (für Lenhausen) annahm, gründete bereits im Jahr 1840 ein Handelsgeschäft. Zunächst in Helden, wohin er zusammen mit seiner Familie im Jahr 1847 zog. Hierzu gehörte auch ein Warenlager in Elspe.
1875 erfolgte der Umzug der Familie Lenneberg, zu der neben Raphael und seiner Frau Caroline, geb. Rosenberg, auch noch die fünf Kinder Perl(e), Heimon Heinemann, Theodor, Sarah und Isaak gehörten, nach Attendorn. Auch das "Tuch-Mode und Manufakturwarengeschäft R. Lenneberg" hatte nun seinen Sitz in Attendorn. Zunächst in unmittelbarer Nähe des heutigen Rossmann-Marktes in der Wasserstraße. Am 30. März 1911 wurde dann der Neubau im heute noch zu bewundernden Rossmann-Gebäude eröffnet.
Das Kaufhaus Lenneberg wuchs zum führenden Kaufhaus im südlichen Sauerland heran. Im Jahr 1900 überraschte das Kaufhaus mit der Herausgabe eines 84 Seiten starken Kataloges. Für damalige Verhältnisse eine echte Sensation:
(Quelle: Stadtarchiv Attendorn)
Für große Augen bei der Kundschaft sorgte auch der erste Fahrstuhl in einem Kaufhaus weit und breit.
Nach dem Tod von Raphael Lenneberg im Jahr 1902 übernahm dessen Sohn Theodor die Geschäftsleitung des immer weiter expandierenden Unternehmens. Als Theodor Lenneberg im Jahr 1920 starb, wurde dessen Schwiegersohn Hermann Stern, der im Jahr 1900 die Lenneberg-Tocher Henriette "Henny" heiratete, zum Geschäftsführer des Kaufhauses Lenneberg in dritter Generation.
Unmittelbar vor der Arisierung des Kaufhauses im Jahr 1938 mit der Übernahme durch die Firma "Scholl & Co." standen bei Lennebergs 24 kaufmännische Angestellte und Arbeiter (20 weibliche, 4 männliche, darunter drei jüdische) sowie vier kaufmännische Lehrlinge in Lohn und Arbeit. Die Bilanzprüfung aus dem Vorjahr (1937) ergab ein Betriebsvermögen von rund 200.000 Reichsmark bei einem Umsatz von ca. 463.000 Reichsmark. Für die Kleinstadt Attendorn mit ihren gut 6.500 Einwohnern war das Kaufhaus Lenneberg ein echter Wirtschaftsfaktor.
"Er hat sich zu einem tüchtigen Verkäufer ausgebildet!"
Am 18. November 1938 - und damit nur eine Woche nach den Novemberpogromen - stellte Hermann Stern seinem Angestellten Josef Teipel folgendes Arbeitszeugnis aus:
Josef Teipels nächstes Arbeitszeugnis wurde datiert vom 19. November 1938 bis zum 31. März 1939. Und zwar vom Nachfolgeunternehmen "Scholl & Co.":
Was uns aufgefallen ist:
Die Firma Scholl hat nicht nur überwiegend den bekannten Kopfbogen des Vorgängers Lenneberg übernommen, sondern auch den "Fernruf 309" sowie das "Schließfach 66".
Das nächste Foto zeigt die Belegschaft der Firma Lenneberg bei einem Betriebsausflug im Frühsommer 1938. Schon da war es dem Geschäftsinhaber Hermann Stern nicht mehr erlaubt, an dem Ausflug teilzunehmen. Josef Teipel (hinten, 5. von rechts) und seine Kolleginnen und Kollegen wurden dafür von einem lininentreuen Parteigenossen begleitet.
Ute Scherer:
"Mein Vater ging dann nach Mannheim, um dort ab April 1939 bis zu seiner Einberufung im April 1940 in einem Bekleidungshaus zu arbeiten. Leider kann ich ihn nicht mehr fragen, warum. Ich nehme an, dass er in Attendorn zu viele Juden kannte. Als "Arier" stand er in einem "jüdischen" Geschäft, an dem seit 1933 die Schilder "Kauft nicht bei Juden!" hingen. Sein Chef, der ihn gefördert hatte, war Jude. Seine männlichen Kollegen waren Juden. Die Käufer in diesem im südlichen Sauerland führenden Kaufhaus waren mit Sicherheit auch jüdisch. In anderen Städten wurden „Arier“, die beim „Juden“ kauften, fotografiert und denunziert. Ich mag mir diesen Spagat gar nicht vorstellen."
Nach dem 2. Weltkrieg ist Josef Teipel nach dreimaligem Ortswechsel schließlich in Castrop-Rauxel sesshaft geworden, wo er eine Familie gründete. Josef Teipel starb im Jahr 2005.
Unser Dank gilt Ute Scherer für die Überlassung dieser für unsere Forschungsarbeit zum Thema "Jüdisch in Attendorn" so wichtigen Zeitdokumente.