1779: Eine Laubhütte vor dem Wohnzimmer

Rund um die Pfarrkirche in Attendorn
(Foto: Tom Kleine)

Jeder Attendorner kennt diesen zentralen Punkt in der Innenstadt bei der Pfarrkirche St. Johannes Baptist (Außenwand rechts). In diesem "Dreieck" zwischen Kirche, der heutigen Katholischen Bücherei (Gebäude links) und dem heutigen Gebäude von Blumen Budde/Café Harnischmacher (Gebäude ganz rechts) spitzte sich vor 237 Jahren ein Streit zwischen dem katholischen Vikar Eberhard Zeppenfeld und dem Juden Aaron Lazarus zu.

 

Dieser hatte es "gewagt", ein Haus in unmittelbarer Nähe zur Kirche zu erwerben (später Kaufhaus Carl Ursell, heute Café Harnischmacher, Niederste Straße 5). Zudem verlegte Lazarus im Jahr 1779 die "Betschule" aus der Wohnung von Jeremias Meyer, einem weiteren, inzwischen verarmten Juden aus Attendorn, in sein Haus.

 

Diese räumliche Nähe zur Kirche verbot jedoch die "kurkölnische Judenordnung De Anno 1700", nach der für Juden galt: "...ihre Wohnung nicht zu nahe bey der Kirchen, sondern wenigstens vier Häuser davon, die Synagoge aber, damit der catholische Dienst nicht behindert werde, noch weiter davon haben."

 

Und genau auf diese Stelle der "Judenordnung" berief sich der damalige Vikar Eberhard Zeppenfeld, der sich heftig beim Generalvikar in Köln beschwerte, „daß der Jud Aaron Lazarus dahier von Attendorn auf ein haus nach unmittelbar an der Pfarrkirchen wohne, auch aus seinem fenster auf den kirchhof und alle processionen sehe könne, sodan in dieser wohnung bereits zwei oder drei jahr zur größten verstoßung unseres Gottesdienstes die Synagoge gehabt, und gewöhnliche geschrey daselbst ausgeübt."

 

Doch damit nicht genug. In dem Gebäude, in dem heute die Katholische Bücherei ihre Räume hat, war seinerzeit die Vicarie mit den Wohnräumen des Eberhard Zeppenfeld untergebracht, der eines Tages beim Blick aus seinem Wohnzimmer seinen Augen nicht trauen wollte. In seinem Wutschreiben nach Köln heißt es weiter:

 

"...und was das ärgste ist, mir jüngster tagen eine Lauberhütten an dem fenster meines Vicarie wohnzimmers aufschlagen lassen.“

 

Aaron Lazarus hatte es also "gewagt", fünf Tage nach Yom Kippur, dem Versöhnungstag, zum Sukkot, dem Laubhüttenfest, für sich und die Seinen die "Laubhütte" zu bauen, getreu der Anweisung im. 3. Mose, 23, 42-43: "Sieben Tage sollt ihr in Laubhüten wohnen, daß eure Nachkommen wissen, wie Ich die Kinder Israel habe in Hütten wohnen lasen, als Ich sie aus Ägyptenland führte."

 

Eine Laubhütte vor seinen eigenen Augen, das ging Vikar Zeppenfeld zu weit.

 

In seiner Antwort verteidigte sich Aaron Lazarus: „Übrigens hätte er in seinem hause keine ordentliche Betschule, sondern nur ein kleines zimmer, worin sie, wenn zehn Juden, so über 13 jahre alt sind, zusammen kämen, ihr gebet verrichten; die Juden könnten nicht anders vermöge ihres Judengesetzes als mit zehn mann so über 13 Jahre wären, schule (= Synagoge) halten. Da nun in hiesiger stadt mehr denn nicht zwei familien wohnten, so ereignete es sich des jahres nur 5 oder 6 mal, daß in seinem hause schule gehalten werde.“

 

Quellen:

Hartmut Hosenfeld: "Jüdisch in Attendorn"

Claus Heinemann: "Juden in Neuenkleusheim"

Stadtarchiv Attendorn

Erzbistumsarchiv Paderborn

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