"Hier stehst du schweigend..."

Weiße Rosen auf einem Bahngleis in Auschwitz

Im Rahmen der AG "Erinnerungskultur" konnten in diesem Jahr einige Schülerinnen und Schüler des St.-Ursula-Gymnasiums Attendorn an einer Bildungsfahrt nach Auschwitz teilnehmen. Hier der Bericht von Melanie Neuer, Schülerin des St.-Ursula-Gymnasiums, Q1, Schuljahr 2015/16:

 

 

 

Hier stehst du schweigend, aber wenn du dich wendest, schweige nicht!

 

Im Rahmen der “AG-Erinnerungskultur” konnten in diesem Jahr erstmals zusätzlich zu den Leistungskursen auch interessierte Schüler der Geschichts-Grundkurse der Q1 an einer Bildungsfahrt nach Auschwitz teilnehmen. Unter der bewährten Leitung von Referenten der „Stätte der Begegnung“ (Vlotho) sowie den Kurslehrern Christina Gerhard, Martin Lisek und Christoph Schulte beschäftigten sie sich fünf Tage lang intensiv vor Ort mit der Geschichte des Nationalsozialismus und erlangten bei den Besuchen des Stammlagers und Vernichtungslagers Birkenau sowie einem Zeitzeugengespräch prägende Eindrücke und Erkenntnisse über die Dimensionen, die Unmenschlichkeit und die Aktualität des Holocaust.

 

Den Auftakt der Fahrt bildete eine kurze Einführung in die Topografie und Geschichte des Ortes Oswiecim, ehemalig Auschwitz, wo wir Schüler außerdem gebeten wurden, unsere Erwartungen beziehungsweise Fragen an den Besuch des KZs zu stellen: Welche Dimensionen hat der Holocaust? Wie konnte es soweit kommen? Wer ist schuld?

 

Wenige Stunden später fanden wir uns am Eingang des Stammlagers wieder. Die Stimmung, zunächst ausgelassen dank 30 Grad und strahlendster Sonne, kippte, als wir das Tor mit der Aufschrift “Arbeit macht frei” passierten. Und doch erinnerte uns das grün bepflanzte Gelände mit identischen Backsteingebäuden zunächst eher an ein Feriendorf, als einen Ort des Grauens. Es sah schön aus. Idyllisch. Harmlos. Umso makaberer war die Vorstellung der Gräueltaten, welche genau hier begangen wurden. Ein Ort, von so viel Elend geprägt, sollte nicht schön aussehen dürfen. Erst der Anblick der Überreste, der Berge von abgeschnittenen Haaren, der Schuhe, welche sich rechts und links von uns türmten, der Tassen und Schüsseln mit aufgemalten Namen von Menschen, deren Identität auf eine Kennziffer reduziert wurde, führte uns das Ausmaß des Terrors vor Augen. Uns wurde bewusst, das jeder Schuh einen Besitzer hatte, welchem jegliche Würde, Kraft und Lebenswille entzogen wurde.

 

Nicht weniger einprägsam war der Besuch des Vernichtungslagers Birkenau am nächsten Tag. Das Gelände, unfassbar weitläufig, führte uns das perfektionierte System der Vernichtung vor Augen. Wir liefen den Weg der Häftlinge entlang, von Entkleidung, Enthaarung, Untersuchung, Reinigung, Ankleidung, Tätowierung bis hin zur vollständigen Anonymität. Mitgebracht hatten wir weiße Rosen, welche jeder von uns, nach einer gemeinsamen Schweigeminute, auf dem Gelände platzierte, als Zeichen unseres Gedenkens, aber auch als Versprechen. Das Versprechen, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Wir versprechen, nicht zu schweigen, wenn wir uns wenden.

 

In Ergänzung zu den Besuchen der Lager führten wir anschließend ein Zeitzeugengespräch. Nichts an der lebensfrohen Dame erinnerte mehr an ihre Vergangenheit, nichts außer der Kennziffer auf ihrem Arm. Sie sprach von Hunger, von Angst, von Unmenschlichkeit im Lager. Überleben konnte sie nur durch ihre Mutter, die ihr Essen brachte, jeden Tag. Gerettet wurde sie durch die Rote Armee und anschließend adoptiert von Einwohnern von Oswiecim. Sie erzählte von der Erfahrung, mit fünf Jahren das erste Mal gebadet zu werden, und wie sie lernte, mit anderen Kindern zu spielen, ohne Szenen aus dem KZ als Vorlage zu nehmen. Zum Abschied umarmte sie uns herzlich, ohne jede Bitterkeit.

 

Abschließend wurden wir gebeten, unsere Fragen vom ersten Tag zu beantworten. Manche von ihnen blieben unbeantwortet. Denn der Holocaust bleibt, für uns alle, unbegreiflich.

 

Melanie Neuer (Q1, Schuljahr 2015/16)

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